Die VIII. Gay Games 2010 aus musikalischer Sicht

Im Rahmen der VIII. Gay Games 2010 in Köln fanden neben vielen anderen Sportarten auch Tanzturniere statt. Diese waren für alle Beteiligten ein unvergessliches Erlebnis - besonders für die Turniermusik-DJs, wie der folgende chronologische Erlebnisbericht von Michael Steinborn zeigt.

 

  • 2008:
    Dörte Lange, Mitglied der "Expertengruppe Tanzen" fragt mich, ob ich auf den in zwei Jahren stattfindenden Gay Games in Köln Musik auflegen könnte. Ich denke zurück an die Super-Stimmung auf den Deutschen Meisterschaften für Frauen- und Männerpaare 2006 im TTC Rot-Gold Köln - und sage zu.
    .
  • September 2009:
    Auf einem Infoabend werden Ideen zur Planung des Großereignisses vorgetragen und ein erster grober Zeitplan veröffentlicht. Burkhard Hans vom Boston-Club Düsseldorf bekundet auch Musikinteresse - wir teilen uns die Tage auf.
    .
  • Mai 2010:
    Vor-Ort-Besprechung aller Organisatoren der Tanzturniere im Maritim Hotel in Köln. Burkhard und ich klären mit dem Hoteltechniker alle Details vom CD-Spieler bis zum Basslautsprecher.
    .
  • Juni 2010:
    Niels Menge, ebenfalls Expertengruppe-Tanz-Mitglied, versendet mehrere Tabellen mit unterschiedlichen Zeitplänen. Bis jetzt steht nur eins fest: Die Turniere beginnen morgens früh und enden abends spät. Ich bin sehr entspannt, denn mein Urlaub ist genehmigt.
    .
  • Mitte Juli 2010:
    Niels versendet weitere Pläne. Jetzt wird es konkret: Die Vormittage (Dresscode leger) beginnen um 9.30 Uhr, die Nachmittagsveranstaltungen (Dresscode Anzug mit Krawatte) dauern bis 18:30 Uhr und abends (Dresscode dunkler Anzug mit Fliege) ist das Ende für 21:30 Uhr vorgesehen. "Wir haben einen separaten Aufenthaltsraum bekommen, in dem Ihr Euch zurückziehen könnt, wenn Ihr in Eurer freien Zeit etwas Ruhe haben möchtet." Ich bin entspannt - immerhin ist freie Zeit vorgesehen.
    .
  • 21.7.2010:
    Ich schaue jetzt genauer in die Zeitpläne - und verstehe nichts! Zeitangaben wie in Blackpool auf die Minute genau und unzählige mir unbekannte Abkürzungen. Ich telefoniere eineinhalb Stunden mit Niels, danach schwirrt mir der Kopf: 9:30 GL F 35+ STD, 13:54 Classification F 18+ LAT, 15:56 ¼ FIN F 18+ LAT D, 18:44 FIN M 18+ STD C, 19:06 MEDALS M 18+ STD B, 20:55 A FIN FORMATION. Immerhin habe ich zusätzliche Toilettenpausen ausgehandelt und darauf hingewiesen, dass ich am 27.7. die Musik zusammenstelle - ab dann bitte keine Änderungen mehr. Ist ja auch unwahrscheinlich - die Turniere stehen ja schon seit Monaten fest und der Meldeschluss ist dann auch längst vorbei.
    .
  • 22.7.2010:
    Zwischen den übrigen Organisatoren tobt mittlerweile eine regelrechte E-Mail-Schlacht - es sind noch unzählige Dinge zu regeln. Burkhard und ich klären zur Sicherheit noch einmal das Konzept zur Beschallung, damit Mischpult, CD-Spieler, Ersatz-CD-Spieler, Ersatz-Ersatz-CD-Spieler, Bassboxen, Hochtöner und so weiter rechtzeitig vorbereitet werden können.
    .
  • 23.7.2010:
    Mittlerweile wurde auch ich von der E-Mail-Flut erfasst. Unzählige Leute wollen von mir unzählige Dinge wissen, die schon unzählige Male besprochen wurden. Noch mal mein Hinweis, dass bis zum 27.7. ohne Aufwand Änderungen der Musik möglich sind.
    .
  • 28.7.2010, 1:12 Uhr (nachts!):
    Die Musik ist fertig zusammengestellt.
meine Playlisten für die Gay Games

 

  • 28.7.2010, 12:23 Uhr:
    Ein mir bisher unbekannter Organisator versendet eine E-Mail mit verschiedenen Durchsagen, die zwischendurch gespielt werden sollen, zum Beispiel: "Willkommen bei den VIII. Gay Games.", oder "Wir wünschen einen schönen fairen Wettkampftag." bis hin zu "Aufgrund einer technischen Störung müssen wir die Veranstaltung leider abbrechen."
    Unfassbar - fällt denen das nicht ein paar Monate früher ein? Ich kontere mit Ergänzungsvorschlägen:
    - "Es folgt eine kurze Unterbrechung. Bitte machen Sie den Weg zur Toilette frei und lassen Sie den DJ durch."
    - "Bitte entschuldigen Sie die kurze Unterbrechung. Der DJ ist vor Dehydrierung in den CD-Spieler gefallen."
    - "Aufgrund einer optischen Katastrophe müssen wir den Formationswettbewerb leider abbrechen. Es folgt Musik zum Träumen."
    .
  • 30.7.2010, 10:16 Uhr:
    E-Mail von Niels: "Leider musste ich einige Veränderungen am Zeitplan vornehmen, so dass ich hiermit einen neuen Plan sende. Bitte nehmt uns das nicht allzu übel, wir hängen da eben an der großen Mutter Gay Games. ..." Ich nehme das der großen Mutter Gay Games übel und bin nicht mehr entspannt.
    .
  • 31.7.2010 19:30 Uhr:
    Wir marschieren mit allen Sportlern ins Rhein-Energie-Stadion ein. Die große Eröffnungsfeier ist ein tolles Erlebnis. Die Spiele können beginnen.
    .
  • 4.8.2010 und 5.8.2010:
    Ich betrete um 8:30 Uhr den Tanzsaal, alles ist leer und ruhig. Burkard erzählt mir, dass der gestrige Zeitplan um mehrere Stunden überzogen wurde. Ich packe meine CDs aus und mache den Soundcheck - wow, toller Klang im Saal. Andreas Picker, zuständig für den zeitlichen Ablauf und jederzeit die Ruhe selbst, informiert mich über die ersten Änderungen: "Nach Classification F 45+ STD machen wir direkt mit GL M 45+ STD weiter, das ½ FIN M 35+ 10T/STD kommt danach, und bei den GLs bitte nur 50 Sekunden spielen." Alles klar, inzwischen kenne ich ja den GGAKÜFI (= Gay Games - Abkürzungsfimmel).
in Aktion bei den Gay Games
in Aktion bei den Gay Games
in Aktion bei den Gay Games

Die Turniere beginnen, der Saal füllt sich. Es geht Schlag auf Schlag ohne Pause, dann sind die ersten Vorrunden geschafft. Während der Latein-Eintanzmusik sprinte ich von der Bühne über das Parkett durch das Foyer in die Toilette und zurück, gerade noch rechtzeitig zum Beginn des nächsten Turniers. "Und Cha Cha bitte." verkündet Turnierleiter René Dall. Ich erstarre - im CD-Spieler liegt ein Walzer. Die zwischenzeitlichen Änderungen hatte ich während meines WC-Ausflugs nicht mitbekommen. Wo ist ein Cha Cha und wo ist meine Entspannung? OK, schnell improvisieren, das Turnier muss weitergehen, die Zeit sitzt uns im Nacken. Gegen 13:00 Uhr gibt es eine kleine Pause - jedoch nicht für die Musik, denn die Formationstänzer geben ihre CDs ab und erzählen mir etliche wichtige Einzelheiten, die ich wissen muss, wenn ich die Musiken starte. Warum sehen Formations-CDs eigentlich immer wie total zerkratzte Rohlinge mit unleserlicher Beschriftung aus, die nur mit Mühe von den CD-Spielern gelesen werden können?

Die Pause (welche Pause?) ist vorbei, den erwähnten Aufenthaltsraum habe ich nur von außen gesehen. Der Nachmittag beginnt, der Saal wird immer voller und lauter, die Stimmung steigt. Meine Frau Tatjana bringt mir ein Käsebrötchen - immerhin etwas. Irgendwann vor einem Semifinale habe ich den Überblick verloren und frage die Turnierleitung, welches Turnier jetzt beginnt. "Halbfinale Männer 18+ Latein." Ich gucke auf die Fläche und sehe nur Frauen in Standardkleidung: "Sieht das wie Männer Latein aus?" - "Ach so, ja stimmt, das haben wir vorhin ja geändert, sorry ..." Ich bekomme einen mittleren Wutanfall - aber der wirkt Wunder: Fortan bekomme ich vom Sanitäter (!) Gerd Funk rechtzeitig alle Änderungen mitgeteilt und überstehe den Nachmittag ohne Pannen.

Meine Vorabendpause entfällt auch, Zeit zum Umziehen ist sowieso nicht. Egal, die CDs müssen sich drehen, die Paare wollen sich für die Finalrunden eintanzen. Abends führen Niels und die Dänin Mette Bugge durch die Turniere. Ich habe selten eine so mitreißende und begeisternde Turnierleitung erlebt - ganz großes Kino. Der Saal ist mittlerweile voll und die Stimmung erreicht mehrere Siedepunkte. Das Turnierleitungsteam ist inzwischen eingespielt und ich habe sogar Zeit, mir ab und zu die Tanzpaare anzuschauen. Karneval in Rio ist farblos gegen das Treiben auf der Fläche. Der für mich geschmackliche Höhepunkt sind zwei Herren, an deren Armen mehrere fuchsschwanzartige Bommel herunterhängen - wie viele Polyester mussten dafür sterben? Im Paso Doble ruft mir Niels Sekundenbruchteile vor dem Drücken der Stopptaste zu: "Paso ausspielen!" Ich lächle und lasse den Titel weiterlaufen - mittlerweile kann mich nichts mehr schocken. Der Saal tobt, ich drehe die Lautstärke auf Maximum - so eine bombastische Stimmung habe ich noch nicht erlebt.

Gegen 22:30 Uhr beginnen die Siegerehrungen. Die Zuschauer stehen auf den Stühlen, klatschen und tanzen zur Musik - der ganze Saal ist eine Party. Dann ist der Tag vorbei. Ich packe meine CDs ein und gehe von der Bühne durch den leeren Saal.

mein Arbeitsplatz bei den Gay Games

 

  • ein paar Tage später beim Nachtreffen:
    Das Organisationsteam hat unglaubliche Arbeit geleistet. Unzählige E-Mails wurden versendet, stundenlange Telefonate geführt, bäumeweise Zettel ausgedruckt und duzende Fragen beantwortet.

Für mich waren aus musikalischer Sicht die Gay Games 2010 die herausragendsten, begeisterndsten und tollsten Veranstaltungen, auf denen ich bisher Musik gemacht habe. Danke an die "Expertengruppe Tanzen" und allen, die dazu beigetragen haben!